Hintergrund zur Geschichte
“Am Bettelstab durchs Land”

Am Bettelstab durchs Land

Aus zwei Jahren sind die Ausgaben der Lichtenberger Armen-Casse überliefert: 1796 und von Pfingsten 1660 bis Frühjahr 1661. Daraus kann man ersehen, dass damals aus halb Mitteleuropa Bettler durch Lichtenberg zogen. Sie hatten aus den verschiedensten Gründen ihre Heimat verlassen müssen und wanderten ruhelos, hungernd und frierend durch das Land.

Unabhängig voneinander verzeichnet der Lichtenberger Stadtschreiber im Jahr 1796 allein drei Bettler aus der Gegend von Speyer: am 20. Februar einen Bierbrauer, ebenfalls am 20. Februar Johann Michael Lay mit Frau und drei Kindern und am 8. Juni den Handelsmann Johann Christoph Lang aus Schifferstadt mit seiner kranken Frau. Aus Stöckach – möglicherweise bei Bundorf in den Hassbergen – kam am 9. März der Schneidermeister Peter Hoffmann, der im Jahr davor durch Blitzschlag sein Haus, seine Scheune und sein ganzes Vermögen verloren hatte.

Zu Herzen gehen die Geschichten von bettelnden Kindern. Am 22. April notiert der Stadtschreiber die neunjährige Susanna Koppnerin von Schönbrunn, deren Mutter im Hirtenhaus liege und zu faul sei, die Almosen abzuholen. Mehrere ehemalige preußische Soldaten sind unter den Bettlern, auch Soldatenwitwen und -kinder tauchen in dem Jahrbuch auf. Charmante Burschen scheinen ebenfalls unter denen gewesen sein, die bettelnd von Ort zu Ort zogen. Der Lichtenberger Stadtschreiber vermerkt bei einem Joseph Friedrich Seeboth aus Künzelsau, dass dieser nach dem vorgeschriebenen Regulativ nichts erhalten dürfte, aber da er ein sehr hübscher Bursch sei, bekomme er vier Kreuzer. Die Handwerksgesellen, die auf ihrer Wanderschaft im Jahr 1796 durch Lichtenberg kamen, führte der Schreiber gesondert auf. Es waren Metzger, Bäcker, Büttner, Glaser, Weber, Jäger, Lohgerber, Maurer, Zimmerer, Schlosser, Schreiner, Schmiede, Wagner, Schneider, Schuhmacher und Tuchmacher und sie kamen unter anderem aus Basel, Hamburg, Dresden, Breslau, Tübingen und Braunschweig.

Wesentlich kürzer ist die Liste der Almosen, die im Jahr 1660/61 gewährt wurden, und doch geben sie Einblick in die große Not, die nach dem Dreißigjährigen Krieg herrschte. Mehrere vertriebene Pfarrer und Schulmeister aus Schlesien sind unter denen, die in Lichtenberg betteln mussten. Sie waren offenbar zwischen die Religionsfronten geraten. Auch zwei Adelige baten in Lichtenberg um Almosen. Einer von ihnen, Hannß Friedrich von Karstedt, wanderte von Holstein bis in den Frankenwald. Mehrere arme Studenten waren ebenfalls unter den Gestrandeten.

Betteln müssen war durch alle Zeiten ein hartes Los. Wer nicht verhungerte oder sterbenskrank wurde, lief Gefahr, im Winter zu erfrieren. Auch Menschen der unteren Schichten hausten zum Teil so miserabel, dass an kalten Wintertagen der Erfrierungstod drohte. Im Hausbuch, das der Hofer Apotheker Michael Walburger Mitte des 17. Jahrhunderts führte, ist ein Dienstbote erwähnt, der an Weihnachten 1662 in Hof im Alter von 37 Jahren erfor.

Lichtenberg hatte bis ins 20. Jahrhundert ein eigenes Hospital, also ein Krankenhaus. Es wurde laut Chronik „vor undenklichen Zeiten“ vor der Stadtmauer erbaut. Im Sommer 1930 ließ die Stadt die baufällig gewordenen Gebäude an der jetzigen Nailaer Straße abreißen.

Zur Massenerscheinung wurde die Armut im 19. Jahrhundert. Im Zuge der Industrialisierung verelendeten in Deutschland große Teile der Bevölkerung. Als Antwort auf das allgegenwärtige Elend gründeten Sozialpioniere Genossenschaften, mit deren Hilfe die arbeitende Bevölkerung sich eine menschenwürdige Existenz aufbauen sollte. Bereits im 18. Jahrhundert waren die ersten Sparkassen gegründet worden mit dem Ziel, auch ärmeren Bevölkerungsgruppen wie Dienstboten die Möglichkeit zu geben, ihr Geld sicher aufzubewahren und durch Zinsen zu vermehren. In Lichtenberg beschloss der Stadtmagistrat (dem heutigen Stadtrat vergleichbar) am 8. April 1875, eine Sparkasse zu gründen. Nachdem das Königliche Bezirksamt in Naila die Genehmigung erteilt und aus Hof eine Geldkassette beschafft war, teilte der Stadtdiener am 28. August 1875 der Bevölkerung die Neuigkeit mit – durch Ausschellen. Er lief also mit einer Glocke durch Lichtenberg und tat jedem kund, dass er sein Geld nun zur Sparkasse bringen könne. Für die Einlagen haftete die Gemeinde mit ihrem Gesamtvermögen. Der Zinssatz betrug drei Prozent. Die Männer, welche die Einlagen verbuchten und beaufsichtigten, arbeiteten ehrenamtlich.

Im Jahr 1937 schloss sich die Sparkasse Lichtenberg mit anderen kommunalen Instituten zu den Vereinigten Sparkassen im Kreis Naila zusammen. Über mehrere Fusionen sind sie in der Sparkasse Hochfranken mit Sitz in Selb aufgegangen.


Was sonst noch geschah

Als Antwort auf die Not großer Teile der Bevölkerung sind im 19. Jahrhundert Genossenschaften entstanden. Etwa zeitgleich und unabhängig voneinander hatten Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 – 1888) und Hermann Schulze- Delitzsch (1808 – 1883) um das Jahr 1850 herum die Idee, Hilfsvereine für die Landbevölkerung und Handwerksburschen zu gründen. Aus ihnen entstanden die Raiffeisen- und die Volksbanken. Die erste Sparkasse war die "Ersparungscasse" der Hamburger Versorgungsanstalt im Jahr 1788, bei der auch Dienstboten, Tagelöhner und Seeleute ihr Erspartes gegen Zins anlegen konnten. Seit 2016 ist die Genossenschaftsform, eine der großen Ideen des 19. Jahrhunderts, Teil des immateriellen Kulturerbes der Menschheit.


Quellen

Manfred Joisten: “Chronik der Stadt Lichtenberg”, Lichtenberg 1957

Archiv der Stadt Lichtenberg

Fred Händel, Axel Herrmann: “Das Hausbuch des Apothekers Michael Walburger”, Hof 1990

 

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