Hintergrund zur Geschichte
“Hoffnung auf ein besseres Leben”

Nordamerika lockt junge Lichtenberger

Zwischen 1867 und 1871 sind nach den Kirchenbüchern 26 Frauen, Männer und Kinder aus Lichtenberg ausgewandert, alle nach Nordamerika (zum Vergleich: im Jahr 1820 zählte Lichtenberg 844 Einwohner). Dazu kommen wohl noch einige, die heimlich und ohne Abmeldung sich Richtung New York oder Philadelphia verabschiedeten. Vor allem um 1870, als man per Eisenbahn und Dampfschiff relativ preiswert reisen konnte, war die Auswanderung eine regelrechte Volksbewegung. Wohl jeder in Lichtenberg überlegte damals, ob ein Leben in der Fremde nicht lohnenswerter wäre als daheim.

Wer sich für die Auswanderung entschied, traf diese Entscheidung immer schweren Herzens. Bei vielen Auswanderern ging es um die nackte Existenz, denn noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Hunger alltäglich. Die Industrialisierung hatte noch nicht an Schwung gewonnen, während etwa ab 1830 die Preise landwirtschaftlicher Erzeugnisse aufgrund von Importen stark fielen. Die Landwirtschaft verlor ihre führende Rolle im Wirtschaftsleben, das Gewerbe trat allmählich an ihre Stelle. Immer wieder gab es Missernten und Hungerkrisen. Soziales Elend war alltäglich, auch auf dem Land. 1846/47 waren schlimme Hungerjahre; sie gelten als die letzte große vor-industrielle Krise in Deutschland. Verschlimmert wurde die Bedrückung durch steigende Steuern und Abgaben. Für junge Männer war die Auswanderung zudem die Möglichkeit, dem Militärdienst zu entgehen. Während die Söhne vermögender Väter den Wehrdienst vermeiden konnten, war er für Ärmere eine gefürchtete Pflicht.

Dazu kam die Lage im Frankenwald, wo ein Überleben nur mit den Erträgen der Landwirtschaft schon immer schwer möglich war. Das liegt an den mageren Böden und der Höhenlage (Lichtenberg liegt auf 573 Metern). Die Auswirkungen der Kleinen Eiszeit, die vom Anfang des 15. Jahrhunderts bis etwa 1850 andauerte, machten den Anbau von Lebensmitteln schwierig.

Die Bewohner von Lichtenberg waren vielfach Ackerbürger, die ihre eigenen Nahrungsmittel anbauten – also eine kleine Landwirtschaft betrieben -, und dazu ein Gewerbe ausübten. Die meisten hatten einen Webstuhl im Haus stehen, die Wohlhabenden waren Tuchmacher. Der Bergbau um Lichtenberg, der über lange Zeit zahlreichen Familien ein Auskommen ermöglicht hatte, kam im Laufe des 19. Jahrhunderts weitgehend zum Erliegen.

Im Vergleich zu anderen Orten im Bereich Naila sind aus Lichtenberg relativ wenige Menschen ausgewandert, die meisten Auswanderer kamen aus kleinen Dörfern. Wahrscheinlich liegt das daran, dass es in Lichtenberg damals zahlreiche Handwerksbetriebe und Manufakturen gab, in denen man seinen Lebensunterhalt verdienen konnte – wenngleich vielfach schlecht bezahlt. Franken war damals neben der Pfalz das Gebiet, aus dem die meisten Auswanderer kamen. Zielländer waren neben den USA auch Schweden, Ungarn, die Schweiz, Österreich, Böhmen, Sachsen-Meiningen, Hessen und Preußen. Aus Lichtenberg sind nur Auswanderungen nach Nordamerika belegt.

Mehr als fünf Millionen Menschen waren bis Ende 1900 aus Deutschland in die USA ausgewandert, darunter mehr als Hunderttausend aus dem Königreich Bayern mit Schwerpunkt aus Franken.


Weitere Informationen

Im Weberhausmuseum Neudorf bei Schauenstein im Kreis Hof mit seinem strohgedeckten Dach und dem Ziehbrunnen kann man sehen, unter welch harten Bedingungen die Menschen im 19. Jahrhundert lebten.

Dass eine Auswanderung oftmals aus Gründen von Hunger und anderer existenzieller Not geschah, zeigt das Levi-Strauss-Museum in Buttenheim im Kreis Bamberg, das den Lebensweg des Erfinders der Jeans nachzeichnet.

Wer sich über das große Thema Auswanderung tiefergehend und anschaulich informieren möchte, für den lohnt sich ein Besuch im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven, in dem man auch die Namen von Auswanderern recherchieren kann.


Was sonst noch um das Jahr 1870 geschah

1857 entwickelt sich ausgehend von New York die erste Weltwirtschaftskrise.

1867 bis 1865 kämpfen im nordamerikanischen Sezessionskrieg die Süd- und die Nordstaaten gegeneinander.

1863 gründen in Leipzig Männer um Ferdinand Lasalle den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, die erste Massenbewegung der Arbeiter in Deutschland; aus ihm gehen die Soziale Arbeiterpartei (SDAP) und ab 1890 die SPD hervor.

1867 veröffentlicht Karl Marx in Hamburg "Das Kapital", eine Kritik der kapitalistischen Gesellschaft, das große Auswirkungen auf die Politik des 20. Jahrhunderts haben wird.

1868/69 gibt der russische Schriftsteller Leo Tolstoi seinen Roman "Krieg und Frieden" heraus.

1869 wird in Ägypten der Suez-Kanal eröffnet, der für die Schifffahrt vom Nordatlantik in den Indischen Ozeane eine große Zeitersparnis bedeutet.

1870/71 führen Deutschland und Frankreich Krieg gegeneinander; Verlierer Frankreich muss an Deutschland die Reparationssumme von fünf Milliarden Francs leisten, welche die Grundlage für den deutschen Wirtschaftsboom in der Gründerzeit ist und Frankreich in große wirtschaftliche Schwierigkeiten bringt.

1871 wird das Deutsche Reich gegründet; erster Kaiser ist Wilhelm I.


Quellen

Kirchenbücher Lichtenberg etc. im Staatsarchiv Bamberg

Karl Walther: “Bäuerliche Auswanderung aus Oberfranken aus den 1830er und 40er Jahren”, Haus der bayr. Geschichte, Augsburg 2020

Thomas Raithel: "Kommt bald nach...: Auswanderung aus Bayern nach Amerika”, München 2003

Adrian Roßner: “Aus Münchberg in die Neue Welt – Auswanderung aus Nordostoberfranken nach Nordamerika im 19. Jahrhundert”, aus: “Industrialisierung einer Landschaft. Der Traum von Textil und Porzellan”, Sankt Ottilien 2018

 

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