Hintergrund zur Geschichte
“Hilfe zum Überleben”

Paradiese an der Stadtmauer

Die Gärten unterhalb der Lichtenberger Stadtmauer sind etwas Besonderes, weil sie zeigen, wie im Mittelalter und der frühen Neuzeit Gärten angelegt wurden. Damals waren die Städte dicht bebaut, Haus stand an Haus. Für Gärten fand sich hier kein Platz. Die befanden sich außerhalb der schützenden Stadtmauer. Die Lichtenberger Gärten liegen zudem ideal: an einem Südhang, die Mauern der Häuser halten kühle Winde ab. Von früh bis abends haben die Pflanzen Sonnenschein, ein Band aus Obstbäumen und Hecken schirmt gegen die kalte, aus dem Tal aufsteigende Luft ab. Das ist überlieferte Gartenkultur vom Feinsten.

Dank eines Verzeichnisses aus dem Jahr 1767 wissen wir, was in diesen Gärten angebaut wurde. Es sind Zuckererbsen, Bohnen, blauer und anderer Kohl, Salat, Petersilie, Rettich, Rüben, Pastinaken, Zwiebeln, Schalotten, Knoblauch und anderer Lauch. Es überrascht, dass sich auch Gurken und Kürbis auf dieser Liste finden, brauchen sie doch reichlich Wärme, damit sie gedeihen. Das zeigt, dass in den Lichtenberger Gärten ein besonderes Kleinklima herrscht, dank dessen auch empfindlichere Gewächse reifen können. An Gewürzkräutern finden sich auf der Liste Salbei, Minze und Dill. Auch einige Pflanzen, deren Namen wir heute nicht mehr kennen, sind aufgeführt: Mandelkraut, Zellri, Rodepoll, Knobschnitt, Spilet, Elißabeth und Garkrum. Bei Zellri könnte es sich um Sellerie handeln, Knobschnitt könnte Knoblauch sein, dessen Schlotten im Frühling als erstes Grün geschnitten wurden, und Spilet könnte Spinat sein. Mandelkraut ist im Deutschen Wörtenbuch von Jacob und Wilhelm Grimm genannt; demnach handelt es sich um das Nickende Leimkraut (Silene nutens), dessen Blätter als Gemüse gegessen wurden und das heilkräftig gegen Husten und Hautkrankheiten sein soll.

Einem Verzeichnis von 1585 ist zu entnehmen, was der Adeligen Rosina von Waldenfels zustand. Dort werden sogar vier Gärten genannt: ein Garten am Torhaus, der Kolbersgarten, der Zwiebelgarten vor dem Stadttor und der Stubengarten. Unter Stubengarten verstand man wahrscheinlich Topfpflanzen, die im Haus aufgestellt wurden. Sie waren die Vorläufer unserer heutigen Ziergärten, denn in den eigentlichen Gärten wurde damals nur Nahrhaftes und Heilendes angebaut. Blumen galten als unnütz, es sei denn, sie wurden für Heilzwecke oder den Kirchenschmuck gebraucht.

Gärten waren durch die Jahrhunderte wichtig für die Selbstversorgung und damit das Überleben. Zudem musste man für die Produkte, die man dort anbaute, keinen Zehnten an die Herrschaft und den Pfarrer abliefern.
Gartenarbeit war durch die Jahrhunderte immer Frauensache. Von kleinauf mussten die Töchter mithelfen und lernten so von der Mutter und der Großmutter, wie man Samen gewinnt, wann die beste Zeit zum Aussäen ist und wie man es schafft, eine lockere Erde zu schaffen, in der die Pflanzen gut gedeihen. Auch über Heilkräfte der Pflanzen wussten die Frauen Bescheid.

Die stetige harte Arbeit setzte den Frauen zu. In einer Übersicht über das Gebiet der früheren Markgrafschaft Bayreuth aus dem Jahr 1809 heißt es: „Bei den Frauen aus dem Volke ist die Ehe gleichbedeutend mit dem Verschwinden jeglicher Spur von Schönheit. Geburten, lange Stillzeiten und harte Arbeit zehren die gesunden, runden Gesichter aus und zurück bleiben ein weißer, entsetzlich bleicher Teint und verhärmte Gesichtszüge.“

Aus dem genannten Verzeichnis von 1767 wissen wir auch, was die Bauern anbauten. Die meisten Lichtenberger besaßen ein mehr oder minder großes Feld, das ebenfalls der Selbstversorgung diente. Dort wuchsen: Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Erbsen, Linsen und Wicken. Dazu kam die Schmalsaat: gelbe, weiße und rote Kohlrüben, Kartoffeln, Hanf und Flachs. Die Kartoffeln wurden Anfang des 18. Jahrhunderts in Lichtenberg eingeführt. Bearbeitet wurden die Felder mit Hilfe von Kühen oder Ochsen, denn Pferde konnten sich nur Adelige, Fuhrleute und reiche Bauern und Bürger leisten. Zudem konnte man Pferde und Kühe nicht gemeinsam in einem Stall halten, denn Pferde werden in der warmen, feuchten Luft eines Kuhstalles krank.

Der Chronist vermerkt, dass die Lichtenberger wegen des steinigen Bodens nicht genügend Lebensmittel anbauen konnten, damit alle satt wurden. Demnach kaufte die Stadt jedes Jahr große Mengen Roggen, aus dem man Brot buk. Auch die Braugerste kaufte man von außerhalb.

Die Menschen ernährten sich über Jahrhunderte hinweg fast ausschließlich vegetarisch, denn Fleisch war teuer. Eher noch kam Fisch auf den Tisch, vor allem in der Fastenzeit. Rings um Lichtenberg waren bereits im Mittelalter Teiche angelegt worden, in denen Karpfen gehalten wurden. Teiche waren deshalb so verbreitet, weil mit ihnen auf geringer Grundfläche viel Eiweiß in Form von Fischfleisch erwirtschaftet werden konnte – deutlich mehr, als das auf einer Feldfläche möglich gewesen wäre. In einem Lichtenberger Urbarium – also ein Verzeichnis über den Besitz einer Grundherrschaft - aus dem Jahr 1565 werden sieben große Teiche und sieben kleine genannt, darunter bereits der Tränkteich, "diese werden mit Karpfensetzlingen besetzt", heißt es über die großen, in die kleinen kam Karpfenbrut. Das zeigt, dass bereits damals großes Wissen über die Anzucht von Fischen vorhanden war.

Entscheidende Impulse für die Garten- und Teichkultur in Mitteleuropa hatten die Klöster gegeben. Die Mönche des Zisterzienser-Ordens hatten gezeigt, wie man mit wenig Aufwand Teiche anlegen kann und wie man den besten Platz für die Anlage eines Gartens findet: an einem Südhang, oberhalb eines Gewässers und durch Mauern gegen kalte Ost- und Nordwinde geschützt – genauso, wie es die Lichtenberger machten.

Kartoffeln, Getreidebreie und ein wenig Gemüse – so sah der Speisezettel um das Jahr 1767 aus. Ab und zu kamen Singvögel auf den Tisch. Das Fangen war Aufgabe älterer Jungen. Oft verwendeten sie dazu das aus Baumharz gewonnene Pech. Äste wurden mit dem klebrigen Material bestrichen, an dem die Vögel hängen blieben, sie wurden zum "Pechvogel". Dieses Wort hat sich bis heute erhalten. Besonders beliebt waren Krammetsvögel (Wacholderdrosseln), die etwa so groß wie Amseln sind und mit Schlingen gefangen wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bekamen die Gärten noch einmal eine große Bedeutung. Auch die Flüchtlinge erhielten Gärtlein zugewiesen, und zwar lagen sie auf dem Gebiet vom Anger bis zum Seifenberg. Einheimischen wie Flüchtlingen half das selbst angebaute Gemüse beim Überleben.

Heute sind die Gärten an der Stadtmauer grüne Paradiese. Sie zeugen von einer Gartenkultur, wie man sie selten findet. Die alten Obstbäume und mehrere Walnussbäume sind Lebensraum für Vögel, kleine Säugetiere und Insekten.


Weitere Informationen

In der Umgebung kann man in mehreren öffentlichen Gärten sehen, wie sich die ländliche Gartenkultur entwickelt hat. Traditionelle Bauerngärten befinden sich an den Bauernhofmuseen in Kleinlosnitz bei Münchberg (Kreis Hof) und Bergnersreuth bei Arzberg (Kreis Wunsiedel). Im Klostergarten Himmelkron im Kreis Kulmbach kann man nachvollziehen, dass Medizin und Pharmazie aus der Heilpflanzen-Kultur der Klöster entstanden sind. In Steinbach an der Haide (Kreis Kronach) existiert in der Dorfmitte noch ein großer und mehrfach prämierter Gemeinschaftsgarten, in dem die Dorfbewohner jeweils eigene Beete bewirtschaften.


Was sonst noch geschah

Kartoffeln, die in vielen Notzeiten die Menschen vor dem Verhungern bewahrten, wurden in Deutschland erstmals im Jahr 1647 in Pilgramsreuth bei Rehau, Landkreis Hof, angebaut. Ein Bauer namens Hans Rogler brachte die Knollen aus dem nahen Böhmen ins Land. In Pilgramsreuth erinnert neben der Kirche ein Denkmal an das Ereignis.


Quellen

Manfred Joisten: “Chronik der Stadt Lichtenberg”, Lichtenberg 1957

Otto Freiherr von Waldenfels: “Die Freiherrn von Waldenfels”, Lichtenberg 1956

Bettina Kraus: “Kreuz, Birnbaum und Hollerstauern – Oberpfälzer Bauerngärten und ihre Geschichte”, Regenstauf 2014

Erich Walter: “Fränkische Bauerngärten”, Hof 1995

Fred Händel, Axel Herrmann: “Das Hausbuch des Apothekers Michael Walburger”, Hof 1992

Camille de Tournon: “Über das Fürstentum Bayreuth in napoleonischer Zeit”, Hof 2002

 

Wollen Sie weitere Hintergründe lesen oder mehr über unser Projekt wissen? Dann klicken Sie hier.

Wappen
 

Gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER).