Hintergrund zur Geschichte
“Die Grenze hat ein Loch”

Auf eine gute Nachbarschaft

Als sich Günter Schabowski, Mitglied des Politbüros der DDR, am Abend des 9. November 1989 versprach und die sofortige Öffnung der Grenze zu Westdeutschland ankündigte, hatte das Auswirkungen bis nach Lichtenberg. Bereits am nächsten Tag kamen DDR-Bürger mit Trabis in die Stadt und die Insassen standen für das Begrüßungsgeld an, das jeder in Höhe von 100 D-Mark erhielt. In den Lebensmittelläden waren wochenlang Bananen und andere Südfrüchte ausverkauft, die Verwaltungsmitarbeiter machten Überstunden.

Die Freude der Lichtenberger und ihrer Gäste war euphorisch, so wie in anderen Orten an der innerdeutschen Grenze auch. Nur wenige Grenzübergänge waren in den ersten Tagen und Wochen nach dem 9. November geöffnet, und so kam es dort zu langen Staus und stundenlangen Wartezeiten. Frierend standen DDR-Bürger für das Begrüßungsgeld oder zum Einkaufen an. Wochenlang blies ein eisig-kalter Wind. Spontan öffneten viele Westdeutsche ihre Türen und luden ihnen Unbekannte zum Aufwärmen und sogar zum Übernachten an.

Nach und nach öffneten die DDR-Behörden weitere Grenzübergänge. Der 2. Dezember 1989 war der Tag, an dem die Bewohner aus Blankenstein seit dem Jahr 1945 erstmals wieder nach Lichtenberg laufen konnten. Erst am Tag vorher war das Ereignis im Radio verkündet worden. Viele Menschen warteten bereits, als die Grenzpolizisten den Übergang bei Blechschmidtenhammer öffneten. Pünktlich um 8 Uhr räumte Major Hans-Jürgen Krause von der DDR- Grenztruppe die letzten Barrieren zur Seite. Fremde fielen sich in die Arme und weinten, und einige Ältere kannten sich noch. Es handelte sich um ehemalige Blankensteiner, die 1945 nach Lichtenberg geflohen waren. Ihre Häuser – insgesamt vier – hatten dort gestanden, wo die Grenze verlief und waren abgerissen worden. An diesem Tag feierten auch die Grenzpolizisten mit und gaben sich der allgemeinen Freude hin.

Am 2. Dezember, einem Samstag, verzeichneten die Grenzbeamten 5000 Menschen aus Ost- und Westdeutschland, die den neuen Übergang zu Fuß passierten. Am Tag danach waren es mehr als 6000. Der neue Übergang war von 6 Uhr morgens bis nachts um 22 Uhr offen. Am Eröffnungstag hatte die Stadt Lichtenberg Zelte zum Aufwärmen aufstellen lassen. Dort traf der damalige Bürgermeister Herbert Heinel zum ersten Mal seine Amtskollegen aus Blankenstein und Blankenberg. Der Hofer Landrat Ewald Zuber führte Gespräche mit Siegfried Aurich, Ratsvorsitzender des Kreises Lobenstein. Zahlreiche freiwillige Helfer der Stadt Lichtenberg, der Gemeinde Issigau, des Roten Kreuzes, der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks betreuten die Gäste. Busse und Feuerwehrfahrzeuge pendelten zwischen dem Grenzübergang und der Stadt Lichtenberg. Zur allgemeinen Volksfeststimmung trugen die Blaskapellen aus Oberlemnitz und der Spielmannszug Naila bei. An zahlreichen Stellen wurden die Besucher kostenlos verpflegt.

Das spontan angesetzte Fußballspiel am Nachmittag des 2. Dezember wurde ebenfalls zum Volksfest. Bis spät in die Nacht feierten die Lichtenberger und ihre Gäste aus Thüringen in den Gaststätten und in Privathäusern. Viele Menschen schlossen Freundschaften. Zahlreiche Kontakte, die an diesem Tag und in den Wochen danach geschlossen wurden, bestehen bis heute. Im Frühsommer 1990 trafen sich die Fußballmannschaften aus Lichtenberg und Lobenstein zum Rückspiel in Lobenstein.

Zwischen den Orten im Frankenwald und im angrenzenden Thüringen haben sich gemeinsame Rituale entwickelt. Jedes Jahr am 3. Oktober feiern Franken und Thüringer den Jahrestag der Wiedervereinigung mit einer Wanderung entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Eine besondere Einrichtung ist der Grenzerstammtisch, zu dem sich etwa 70 Männer und drei Frauen einmal im Monat treffen – abwechselnd in Bayern und Thüringen.

Die ehemalige Grenze ist heute Teil des Grünen Bandes, des größten Naturschutzprojekts in Deutschland. Seltene Tiere leben in dem Gebiet, das einst Todeszone war.

Die Nachbarschaft ist wieder selbstverständlich geworden, so wie es 1000 Jahre der Fall war. 44 Jahre der Trennung hatten die lange gemeinsame Geschichte nicht auslöschen können.


Zur weiteren Information

Über das Thema innerdeutsche Grenze und die Grenzöffnung informiert das Deutsch-Deutsche Museum in Mödlareuth bei Töpen im Kreis Hof.

Informationen über das Grüne Band finden sich auf Informationstafeln im Gelände oder hier im Internet. Die Auftaktveranstaltung für das Grüne Band fand am 9. Dezember 1989 in Hof statt – eine Woche nach der Grenzöffnung bei Lichtenberg. Dort verabschiedeten auf Einladung des Bund Naturschutz mehr als 400 Teilnehmer eine entsprechende Resolution.


Quellen

Werner Neumann, Lichtenberg: Mündliche Mitteilungen

Thomas Hampl: “Volksfest-Atmosphäre in Blechschmidtenhammer – Übergang für Fußgänger geöffnet”, Frankenpost, 4. Dezember 1989

 

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