Hintergrund zur Geschichte
“Trauriges Schicksal einer Mutter”

Ein Vulkan in Asien lässt die Menschen in Lichtenberg hungern

Die Hungerkatastrophe von 1816/17 gilt als die schlimmste Zeit des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Auslöser war der Ausbruch des Vulkans Tambora vor der indonesischen Küste am 10. und 11. April 1815, etwa 11 000 Kilometer von Lichtenberg entfernt. Große Mengen an Asche gelangten in die Stratosphäre – einer Schicht der Erdatmosphäre in etwa zehn Kilometer Höhe. Der Wind verteilte die Aschewolken über weite Teile der Erde, weltweit sanken die Temperaturen um drei bis vier Grad. Große Kälte, Schnee und Regen führten im folgenden Jahr zu Missernten, es kam zu Hungersnöten. Lediglich Teile Russlands und das Donaudelta blieben von der Katastrophe verschont. 1816 ging in die Geschichtsbücher als "Jahr ohne Sommer" ein.

Unzählige Menschen litten wie Maria Charitas Jungkunz in Lichtenberg unter den Folgen des Vulkanausbruchs.Frauen, Männer und vor allem Kinder verhungerten. Wahrscheinlich als Folge dieser schlimmen Jahre starben bis zum Jahr 1821 alle fünf Kinder des Ehepaares Jungkunz.

"Mancher Hausvater, manche Hausmutter, selbst schon zu Skeletten abgemagert und hohlwangig, dachten sorgenvoll an den nächsten Tag, wenn am Abend die Kinder weinend und nach Brot schreiend, hungrig und mit leerem Magen zu Bett gehen mussten", heißt es in der Chronik der Stadt Lichtenberg. "Viele bisher wohlhabende Leute kamen an den Bettelstab, mancher ehrliche Mann wurde zum Dieb und Verbrecher." Die Menschen aßen sogar Moos, Queckenwurzeln, Eicheln und Gras. Lebensmittel, so sie denn zu bekommen waren, kosteten das Drei- und Vierfache des normalen Preises. Der Landgerichtsbezirk Naila, zu dem Lichtenberg gehörte, nahm einen Kredit über 5000 Gulden auf und kaufte Getreide aus Russland, das vor allem als Saatgetreide für das Jahr 1817 verwendet wurde. Im Mai 1817 besserte sich das Wetter, die Ernte war normal. In großer Freude feierten die Lichtenberger ein Dankesfest.

Auf die Sterbezahlen wirkte sich die Hungersnot erst 1817 aus, als die Lage wieder besser wurde. 49 Beerdigungen verzeichnen die Kirchenbücher für dieses Jahr. Das waren doppelt so viele wie in den Jahren davor.

Auch im Landgerichtsbezirk Naila verhungerten in jenen Jahren offenbar Menschen. Der Amtsarzt Dr. Schneider wurde beauftragt, die Sache zu untersuchen. Sein Bericht liest sich wie der Versuch, etwas zu vertuschen, was offensichtlich war. "Nur der wissenschaftlich Unkundige" lasse sich dazu verleiten, abgezehrte und abgemagerte Körper als Folge von Hunger anzusehen, schrieb der Medicus. Es sei nachteilig für die Armen gewesen, dass sie sich in guten Zeiten an eine unmäßige Sättigung des Körpers gewöhnt hätten. Dadurch seien die Eingeweide ungewöhnlich ausgebreitet worden, "die nun die gleiche frühere Sättigung" forderten.


Was sonst noch geschah

Viermal wechselte innerhalb von 18 Jahren die Herrschaft in Lichtenberg:
1792 kam die Stadt als Teil der Markgrafschaft Bayreuth zum Königreich Preußen. Von 1806 an stand Lichtenberg für vier Jahre unter französischer Verwaltung. 1810 kaufte das Königreich Bayern das Gebiet. Jeder Wechsel bedeutete für die Bürger enorme Belastungen und neue Abgaben. Allein zwischen den Jahren 1806 und 1809 musste die Provinz Bayreuth die ungeheuer hohe Summe von 1,2 Millionen Gulden an Frankreich zahlen, wozu auch Knechte und Mägde beitragen mussten. Die Provinz hatte damals etwa 200 000 Einwohner in 34 000 Haushalten. Für den Weizen als teuerstes der damals gängigen Lebensmittel musste man pro Metzen (= 37,5 Liter) etwas mehr als drei Gulden bezahlen, ein Pfund Schweinefleisch kostete zwölf Kreuzer.

Andere Städte litten in dieser Zeit noch schlimmer. In Plauen zogen zwischen 1806 und 1815 die bayerische Armee, die württembergische Armee, die preußische Armee, die sächsische Armee, die kaiserlich-russische Armee und die französischen Truppen durch. Die Einwohner der Stadt mussten die Soldaten verköstigen, es kam zu Plünderungen, Vergewaltigungen und sonstigen Übergriffen.


Quellen

Manfred Joisten: “Chronik der Stadt Lichtenberg, Band 1”, Lichtenberg 1957

Wolfgang Behringer: “Kulturgeschichte des Klimas”, München 2007

Bericht des Amtsarztes Dr. Schneider im Staatsarchiv Bamberg

Camille de Tournon: “Über das Fürstentum Bayreuth in napoleonischer Zeit”, Hof 2002

Richard Winkler: “Bayreuth-Kulmbach, Markgraftum: Territorium und Verwaltung

Kirchenbücher Lichtenberg unter www.archion.de

 

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