Hintergrund zur Geschichte
“Beim Kaiser und beim Zaren”

Ein Weltbürger findet in Lichtenberg seine Heimat

Lichtenberg, die kleine Stadt, hat in der Musikwelt einen großen Klang. Das liegt an Henri Marteau, den einst weltberühmten Geiger, der bis zu seinem Tod im Jahr 1934 hier gelebt hat. Durch seinen Freund, den aus Schwarzenbach am Wald stammenden Kapellmeister Georg Hüttner, kam der Franzose Marteau 1910 nach Lichtenberg. Ihm gefiel es hier so gut, dass er ein großes Grundstück erwarb und sich eine Villa erbauen ließ. Zunächst als Ferienhaus gedacht, wurde sie wegen des bald ausbrechenden Ersten Weltkriegs zum ständigen Wohnsitz der Familie.

Henri Marteau wurde am 31. März 1874 im französischen Reims geboren. Der Vater war Textilfabrikant, die deutsche Mutter Clara, geborene Schwendy, stammte aus Dresden und war eine Schülerin der Pianistin Clara Schumann gewesen. Früh entdeckte man das musikalische Talent des Jungen und mit fünf Jahren erhielt er durch die besten Lehrer Geigenuterricht. Im Alter von zwölf Jahren trat er bei der Heiligsprechung von Jeanne d`Arc gemeinsam mit dem Komponisten Charles Gounod auf. Dies war der Auftakt einer glänzenden Karriere. Bis 1914 war Henri Marteau der umschwärmte Liebling europäischer Königs- und Fürstenhäuser. Seine Auftritte waren ebenso umjubelt wie hoch dotiert. Der Weltbürger sprach mehrere Sprachen fließend. Mit dem Lichtenberger Pfarrer pflegte er sich lateinisch zu unterhalten.

Dieses Leben im Glanz gekrönter Häupter und des gehobenen Bürgertums endete mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Marteau gab am 1. September 1914 in Lichtenberg ein Konzert, als die Nachricht von der Mobilmachung eintraf. Marteau war französischer Reserveoffizier und galt deshalb in Deutschland als verdächtig. Zunächst kam er in Haft, von 1916 an stand er unter Hausarrest in der Villa in Lichtenberg. Täglich musste er sich beim Bürgermeister melden. Aus dieser Not heraus widmete sich Marteau nun mehr dem Komponieren. 1920 nahm er auf Vermittlung des schwedischen Prinzen Eugen die schwedische Staatsbürgerschaft an. Nach dem Krieg unterrichtete Marteau in Prag, Leipzig und Dresden. Die drei Städte waren mit dem Zug von Lichtenberg aus gut zu erreichen. Außerdem hatte er immer wieder Schüler aus aller Welt bei sich zu Gast. Wie heute bei den Meisterkursen in der Musikbegegnungsstätte Haus Marteau, wohnten diese jungen Musiker privat bei Lichtenberger Familien. Marteau starb am 4. Oktober 1934 in Lichtenberg.

Gemeinsam mit seiner 1977 verstorbenen Frau Blanche liegt er im Garten der Villa Marteau begraben. Ein schlichter Marmorstein aus dem nahen Horwagen bei Bad Steben markiert die Stelle. Die fränkische Schriftstellerin Irene Reif durchstreifte in den Achtzigerjahren auf Marteaus Spuren Lichtenberg, das sie als adrettes Bergstädtchen würdigt. Sie schreibt: "Welche Gedanken mochten Henri Marteau auf dem Bergplateau und den Grundmauern der alten Lichtenburg erfüllt haben, dass er sich spontan entschloss, in allernächster Nähe der Ruine und Nachbarschaft des Dirigenten und Freundes Georg Hüttner ein Heim, ein Tusculum für sich und die Seinen zu bauen.- Höllentalnähe, Rennsteigbläue, die hüpfende, springende Selbitz, das Tal ... Felswände und Fichtenwälder, Tannenforste ... Hirschsprung, Schwedenstein, König David; das ist grau und grün, blau und gold, Licht und Schatten, Farben der Jahreszeiten – Farben sind die Töne der Stille, denk ich – und hab des Rätsels Lösung. Wer, wie Henri Marteau, gewohnt ist, mit der Kunst zu leben, wird sie immer wieder und überall neu entdecken. Also lege ich das Ohr an die bunte Stille und vernehme Klänge, Töne ... Und weshalb der durch und durch deutsch gesinnte, oder besser: empfindende europäische Franzose mit schwedischer Staatsbürgerschaft im letzten Drittel seines Lebens die Höhe des Frankenwaldes und Lichtenberg zum ruhenden Heimatpol in seinem unruhigen, wechselvollen Dasein wählte, ist nicht länger Geheimnis. Wer nicht bereit ist zu widerstehen, wird von der Landschaft zu eigen genommen. Henri Marteau und der Frankenwald hatten eine Beziehung geschlossen, die mit dem Tod des Künstlers nicht endete."


Zur weiteren Information

In der Villa Marteau ist die Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken untergebracht. Einrichtung und Ausstattung des Hauses sind noch weitgehend so wie zu Lebzeiten des Musikers.


Quellen

Homepage der Musikbegegnungsstätte Villa Marteau, Bezirk Oberfranken

Irene Reif: “Franken, meine Liebe”, Hof 1989

Alfred Völkel: “Eine Frau hütet großes Musikerbe”, Frankenpost vom 19. Mai 1966 (nach mehreren Gesprächen mit Blanche Marteau)

 

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