Hintergrund zur Geschichte
“Ein Mann wird zum Märtyrer”

Kriegsende und dramatische Bombardierung

Der Krieg war in Lichtenberg bereits vorüber, als er noch ein letztes Opfer forderte. Es handelte sich um den Finanzbeamten Karl Rindfleisch. Der 46-Jährige, Teilnehmer des Ersten und Zweiten Weltkriegs, hatte gesehen, wie ein Rauchwölkchen aus einem verlassenen Militärfahrzeug der deutschen Wehrmacht stieg, in dem sich Buben zu schaffen machten. Er rannte zu dem mit Munition beladenen Panzerspähwagen und riss die Buben weg. In diesem Moment detonierte etwas, ein Splitter traf Rindfleisch am Kopf. Der Mann verblutete innerhalb kurzer Zeit. Die etwa zwölfjährigen Buben stammten aus dem Saarland. Sie waren zur Kinderlandverschickung nach Lichtenberg gekommen. Unter dieser Kinderlandverschickung verstand man zwischen 1940 und 1945 den längeren Aufenthalt von Kindern und vielfach auch ihren Müttern aus vom Luftkrieg bedrohten Städten auf dem Land. Man schätzt, dass über fünf Jahre hinweg etwa zwei Millionen Mädchen und Buben längere Zeit einige Wochen oder Monate in ländlichen Gebieten lebten. Für viele war die Trennung vom Elternhaus mit großem Kummer und Heimweh verbunden.

Rindfleisch stammte aus Eichstätt im Altmühltal. Er war 1939 nach Lichtenberg strafversetzt worden, weil der gläubige Katholik in Hilpoltstein an der Fronleichnamsprozession teilgenommen hatte. Seine Vorgesetzten schickten ihn zum Finanzamt im rein evangelischen Lichtenberg. Die Familie mit Ehefrau, den vier Kindern und einer Tante kam mit. Die Kinder waren beim Tod des Vaters drei, vier, neun und fünfzehn Jahre alt.
Für die Familie bedeutete der Tod des Vaters existentielle Not. Weil Rindfleisch als Beamter Mitglied der NSDAP sein musste, verweigerten nach dem Krieg die Behörden seiner Witwe eine Pension. Erst nach zweijährigem Bemühen bekam sie diese zugesprochen. Bis Februar 1946 blieb die Familie in Lichtenberg, unterstützt von Nachbarn und Kollegen des Vaters. Dann zog sie zu einer Tante zurück nach Eichstätt. Das Grab von Karl Rindfleisch auf dem Friedhof Lichtenberg besteht immer noch. Seine Kinder lassen es pflegen und besuchen es jedes Jahr am Totengedenktag Allerseelen.

Der Krieg endete in Lichtenberg fast einen Monat vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, die je nach Frontabschnitt zwischen dem 4. und dem 8. Mai 1945 war. Am 13. April kamen amerikanische Soldaten in die Stadt. Sie fuhren von der Buttermühle hoch in Richtung Stadt. Etwa auf Höhe der Villa Marteau eröffneten sie mit Maschinengewehren das Feuer und beschossen die Bahnhofstraße und die Angerleite. Die deutschen Soldaten waren aus Lichtenberg geflüchtet und hatten mehrere mit Munition beladene Fahrzeuge stehen lassen. An einem starb zwei Tage später Karl Rindfleisch. Ein weiteres verlassenes Fahrzeug sprengten die Amerikaner bei ihrem Einmarsch.

Wesentlich schlimmer ging für die Stadt Lichtenberg ein Ereignis ein Jahr vor Kriegsende aus: Am 12. Mai 1944 bombardierten amerikanische Flieger die Stadt. Ein 16-Jähriger kam ums Leben, einige Häuser wurden zerstört. Dank des Berichts eines unbekannten Augenzeugen wissen wir, wie dieser Angriff ablief: "Mittag gegen halb zwei ertönte die Luftwarnungssirene und nach einigen Minuten erschienen von Westen her ganze Schwärme von feindlichen Fliegern. Die Luft war durchsichtig und heller Sonnenschein. Es wurden mehr als 300 Flugzeuge gezählt. Sie waren gut zu erkennen und blinkten zeitweilig wie die Spiegel. Die Flugzeuge nahmen Kurs Richtung Südosten. Gegen zwei Uhr ertönte Entwarnung. Nach einigen Minuten ertönte wieder Luftalarm und schon erschienen die Flugzeuge aus südöstlicher Richtung am Himmel." Der Chronist schildert, wie die feindlichen Flugzeuge in Luftkämpfe mit Abfangjägern der deutschen Wehrmacht verwickelt waren. Abfangjäger waren Flugzeuge, die Bombenangriffe abwehren und feindliche Flugzeuge abschießen sollten. Um den Jägern zu entgehen, warf das feindliche Führerflugzeug ein Rauchzeichen und ein Hagel von Sprengbomben ging in die Umgebung von Lichtenberg und in der Stadt nieder. Später zählten die Bewohner mehr als 350 Bombentrichter. In zwei Häuser am Marktplatz fielen je eine 50-Kilo- Bombe, die zum großen Glück der Bewohner aber nicht explodierten. In eine Scheune am Carlsgrüner Weg schlug eine Bombe ein, die ein Feuer auslöste. Elf Scheunen und vier Wohnhäuser brannten ab. In das Grundstück eines Steuerinspektors im Finanzamt fielen vier Bomben. Die eine Bombe lag direkt vor der Haustüre, die andere hinter dem Haus, die übrigen im Garten verteilt. Die Explosion zerbrach sämtliche Fensterscheiben und riss alle Schiefer vom Dach. Frau und Tochter waren im Garten, als die Bomben fielen. Wie durch ein Wunder passierte ihnen nichts. Am Anger wurde trotz der vielen Bombeneinschläge nur ein Holzschuppen zerstört, ein Haus wurde an der Grundmauer beschädigt. Neben den Gebäuden der Seilerei Rosenberger explodierten mehrere Bomben, der Luftdruck drückte fast alle Fensterscheiben ein. Ein eiserner Pflug, der auf dem Feld hinter der Spinnbahn der Seilerei stand, wurde durch die Wucht des Einschlages etwa achtzig Meter weit geschleudert. Weggeschleuderte Steine durchschlugen das Dach der Turnhalle und landeten im Finanzamt.
Die Bombentrichter in der Flur waren bis zu zwei Meter tief und hatten einen Durchmesser zwischen drei und fünf Meter. In einem 1,5 Tagwerk (etwas über 5000 Quadratmeter) großen Feld klafften zehn Bombentrichter. Für die Landwirte bedeuteten diese Trichter großen Schaden, denn die Felder waren bereits bestellt und die Trichter mussten wieder eingefüllt werden, wozu die Arbeitskräfte fehlten. Alle wehrfähigen Männer waren zum Militär eingezogen. Trotz der großen Gefahr kam in Lichtenberg nur ein Mensch zu Tode. Es handelte sich um einen 16-Jährigen, der mit seinem Vater auf dem Feld gearbeitet hatte. Einige Menschen wurden durch Steinschlag verletzt.

"Wenn man die Bombeneinschläge, die in und um Lichtenberg vorhanden sind, betrachtet, dann kann man nur feststellen, dass Gottes Hand über Lichtenberg war. Die feindlichen Flieger brauchten die Bomben nur um den Bruchteil einer Minute früher auszuklinken und das Unheil wäre unübersehbar gewesen", schreibt der unbekannte Chronist abschließend.

Warum die Flieger Lichtenberg bombardierten, ist nicht klar. Erzählungen zufolge waren die Piloten auf dem Weg nach Peenemünde, wo sie die Heeresversuchsanstalt bombardieren sollten. Weil sie von deutschen Abfangjägern abgedrängt wurden, warfen sie Fracht über Lichtenberg ab.

Die offene Lage der Stadt an einem Felshang milderte die Sprengwirkung der Bomben. Wären sie in einen Talkessel gefallen, wären die Folgen verheerend gewesen.

Ältere Einwohner können sich noch erinnern, dass der Feuerschein nach der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 bis nach Lichtenberg zu sehen war.


Was sonst noch geschah

Lichtenberg ist neben Oberkotzau der einzige Ort im heutigen Landkreis Hof, auf den Bomben fallen. In der Stadt Hof richten die Bombardierungen schwere Schäden an. Die Angriffe am 14. Februar, 8. April und 12. April 1945 gelten vor allem dem Bahnbetriebswerk, der Bahnlinie und der Brücke in Unterkotzau. Mindestens 440 Menschen sterben in Hof, davon 68 Soldaten.

In die Jahre 1944 und 1945 fallen die verlustreichsten Kämpfe der deutschen Wehrmacht, in den Konzentrationslagern werden noch unzählige Menschen umgebracht, obwohl sich die Niederlage des deutschen Heeres bereits abzeichnet. Der Luftkrieg tötet in Deutschland fast eine halbe Million Menschen und zerstört ein Fünftel aller Wohnungen. Von September 1944 an müssen Jugendliche und ältere Männer zum "Volkssturm" einrücken. Dieses letzte Aufgebot ist schlecht ausgebildet und bewaffnet, bleibt militärisch weitgehend wertlos und erleidet hohe Verluste. Im Landesinneren geht die Polizei brutal gegen jeden Deutschen vor, der keinen Kampfwillen mehr zeigt. Viele Menschen werden hingerichtet. Am 19. März 1945 erlässt Hitler den so genannten Nero-Befehl, der allen militärischen und zivilen Stellen gebietet, beim Rückzug in Deutschland nur "verbrannte Erde" zu hinterlassen. Offiziell endet der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945 mit der Bekanntgabe der Bedingungslosen Kapitulation.

Schätzungsweise starben im Zweiten Weltkrieg 50 Millionen Menschen. Allein in der Sowjetunion wird die Zahl der Opfer auf 27 Millionen geschätzt, davon 14 Millionen Zivilisten. Das waren etwa 14,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Deutschland kamen im Zweiten Weltkrieg etwa 9,2 Prozent der Einwohner ums Leben.


Quellen

Manuskript eines unbekannten Verfassers über die Bombardierung von Lichtenberg (unveröffentlicht)

Mündlicher Bericht der Töchter von Karl Rindfleisch, weitere Augenzeugenberichte

 

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