Hintergrund zur Geschichte
“Todesmarsch durchs Höllental”

Der Satz "Arbeit macht frei" ist ein Symbol für den Zynismus und die Menschenverachtung der Nazis. Er stand als schmiedeeiserne Aufschrift über dem Tor zum Vernichtungslager Auschwitz und an mehreren Konzentrationslagern, wo die harte Zwangsarbeit häufig zum Tod führte, sofern die deportierten Juden und die anderen Häftlinge nicht sofort ermordet wurden. In Sichtweite dieses Satzes wurden täglich Menschen erniedrigt, misshandelt, Hunger und schlimmsten Qualen ausgesetzt, erschlagen oder erschossen.

KZ-Häftlinge nahmen diesen Satz auf und nutzten ihn für ihren Widerstand gegen das NS-Regime. Der aus Österreich stammende politische Dichter Jura Soyfer schrieb 1938 im KZ Dachau für seine Kameraden einen Text, der als Dachaulied bekannt wurde. Im Refrain heißt es:

"Sei ein Mann, Kamerad.
Bleib ein Mensch, Kamerad.
Mach ganze Arbeit, pack an, Kamerad.
Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei."

Soyfer verstand hier unter Arbeit die Widerstandsarbeit gegen das Hitler-Regime. Der Dichter starb 1939 im Alter von 27 Jahren im KZ Buchenwald an Typhus.

Der Satz "Arbeit macht frei" steht für die dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte.


Im Frühjahr 1945 bewegten sich durch Deutschland unzählige Todesmärsche. Mit diesem Begriff bezeichnet man heute die Kolonnen von KZ-Häftlingen, die von ihren Aufsehern durch das Land getrieben wurden. Zu Kriegsende versuchten die Nazis, die Häftlinge aus den Konzentrationslagern (KZ) zu anderen Lagern zu bringen. In den ersten Monaten von Sommer 1944 an geschah dies bei frontnah gelegenen Lagern wie Majdanek im Osten und Natzweiler-Struthof im Westen weitgehend geordnet und mit Hilfe von Eisenbahnzügen,. Zu Kriegsende im März und April 1945 wurden die Häftlinge meist planlos zu Fuß auf ihren ungewissen Weg geschickt. Vielfach herrschte großes Chaos, weil nicht einmal die Lagerleitungen wussten, wohin sie die Gefangenen bringen sollten.

Die Räumung der Lager wurde zum Beginn eines Massenmordens. Bei den Häftlingen handelte es sich meistens um Frauen und Männer jüdischer Abstammung. Sie waren durch die lange Zeit im Konzentrationslager ausgezehrt, abgemagert und vielfach krank. Diese bereits unmenschlich geschundenen Gestalten wurden nun nochmals bis aufs Letzte gequält. Unterwegs töteten die deutschen Aufseher immer wieder Häftlinge, die zu schwach zum Gehen waren. Sie erschossen sie oder schlugen sie tot, die Leichen blieben liegen oder wurden notdürftig verscharrt. Wie viele Menschen auf diesen Todesmärschen umkamen, ist unbekannt; bei Kriegsende wurden viele Unterlagen vernichtet. Insgesamt ermordeten die Nazis bis 1945 in Europa sechs Millionen Juden.

Am 14. April 1945 kam ein solcher Elendszug durch das Höllental bei Lichtenberg. Es waren Männer, vor allem Juden, die vom KZ Buchenwald Richtung Süden getrieben wurden. Am 7. April 1945 war die Kolonne mit 3105 Häftlingen in Buchenwald abmarschiert. Das Ziel war wahrscheinlich das KZ Flossenbürg. Allein im Höllental brachten die Aufseher zwanzig der Häftlinge um. Ein Mann, der das Elektrizitätswerk in Hölle betreute, fand die Toten in einer Mulde bei der Bahnschiene, zugedeckt mit Steinen. Vier Leichen, die am Wegrand lagen, wurden am 5. Mai 1945 auf dem Friedhof Bad Steben beerdigt. Am 18. November 1945 mussten auf Befehl der amerikanischen Besatzungstruppen 80 ehemalige Nazi-Funktionäre aus dem damaligen Landkreis Naila weitere 16 Leichen ausgraben – zum Teil mit bloßen Händen. Sie mussten die Leichen in Särge betten, zum Marktplatz Lichtenberg bringen und ihnen dort die letzte Ehre erweisen. Danach wurden die Toten ebenfalls auf dem Friedhof Bad Steben bestattet.

Solche Ausgrabungen auf Befehl der amerikanischen Truppen waren auch in anderen Orten üblich. Im Landkreis Münchberg mussten ehemalige Nazi-Funktionäre bei Haide in der Nähe von Helmbrechts die Leichen von Frauen ausgraben, die beim Todesmarsch vom KZ-Außenlager Helmbrechts nach Volary in Böhmen von Aufseherinnen umgebracht worden waren.

Einige Augenzeugen sahen als Kinder die Aufbahrung auf dem Lichtenberger Marktplatz. Für sie war dieses Geschehen der Abschluss einer verheerenden Zeit. Sie erlebten, wie einstige Nazi- Funktionäre, vor denen die Eltern immer Angst gehabt hatten, ohne ihre politische Funktion nur noch ein Häuflein Elend waren. Die Erwachsenen hatten ihnen während des Krieges Schauergeschichten über amerikanische und russische Soldaten erzählt. Als die Amerikaner nach Lichtenberg kamen, zeigte sich, dass nichts davon wahr wurde. Die Soldaten, darunter einige Männer mit schwarzer Hautfarbe, waren freundlich und schenkten den Kindern Schokolade. Es war die erste Schokolade, die die Mädchen und Jungen bekamen, und sie schmeckte nach einer neuen Zeit.

Zu Beginn der Nazizeit war Lichtenberg ebenso wie der gesamte Landkreis Naila ein Gebiet, in dem Hitler hohe Zustimmung erhielt. Beim zweiten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl am 10. April 1932 stimmten in Lichtenberg 64,53 Prozent der Wähler für Adolf Hitler, der unter der Berufsbezeichnung Regierungsrat im braunschweigischen Staatsdienst antrat (reichsweit 36,8 Prozent). Sein Gegenkandidat, der 84-jährige parteilose Paul von Hindenburg (unterstützt von der Weimarer Koalition), erhielt in Lichtenberg 35,1 Prozent (reichsweit 53,1 Prozent). Dem Kandidaten der Kommunisten, Ernst Thälmann, gaben zwei Lichtenberger Bürger ihre Stimme. Im gesamten Landkreis Naila kam Hitler auf 54,9 Prozent der Stimmen, Hindenburg erhielt 40,6 Prozent, Thälmann 4,39 Prozent.

In einigen Dörfern lag die Zustimmung zu Hitler in der Nähe von 90 Prozent. Nur in zehn der insgesamt 39 Orten verweigerte die Mehrheit Hitler ihre Zustimmung: Baiergrün, Bobengrün, Langenbach, Meierhof, Reitzenstein, Rodesgrün, Schwarzenstein, Steinbach, Straßdorf und Thierbach.

Generell waren Ober- und Mittelfranken die Hochburgen des nationalsozialistischen Gedankengutes – mit Ausnahme der Stadt Selb. Der Wahlbezirk Naila hatte bei den Wahlen der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre neben Coburg und Wunsiedel in Oberfranken die höchste Zustimmung zur NSADP. Die Nationalsozialisten überschwemmten die Region mit Wahlveranstaltungen. Im Jahr 1929 versammelten sie bei einer kultisch inszenierten Versammlung auf dem Döbraberg bei Schwarzenbach am Wald 10 000 Teilnehmer. Sie sprachen gemeinsam den "Döbraberg-Schwur" mit dem Text: "Wir geloben unter den heiligen Tannen des Döbraberges, nicht zu rasten, bis Heimat und Vaterland wieder frei geworden sind." Die vom nationalistischen Gedankengut beseelten Teilnehmer störten sich nicht daran, dass schon damals auf dem Döbraberg kaum Tannen standen, sondern vorwiegend Fichten.

In Lichtenberg mag für die hohe Zustimmung zu Hitler auch der örtliche Ortsgruppenleiter mit ausschlaggebend gewesen sein. Der gebürtige Helmbrechtser war seit 1932 Kreisleiter der Nazi- Partei NSDAP, 1932 wurde er in den Landtag gewählt, 1933 wechselte er in den Reichstag, 1938 wurde er Oberbürgermeister in Coburg. Am Ergebnis der Reichstagswahl vom 12. November 1933 zeigt sich, dass in Lichtenberg aber auch eine nennenswerte Opposition zu den Nazis bestand. Zu dieser Wahl war nur noch eine Einheitsliste der NSDAP zugelassen. Wer diese nicht wählen wollte, musste den Stimmzettel durch Kritzeleien oder ein Nein ungültig machen. Dazu gehörte Mut, denn das Wahlgeheimnis war nicht mehr zuverlässig gewahrt. Von 662 abgegebenen Stimmen waren in Lichtenberg 40 ungültig. Das entspricht 6,4 Prozent (reichsweit 7,9 Prozent). Lichtenberg hatte damit im Landkreis Naila den dritthöchsten Anteil an ungültigen Stimmen nach den Wahlbezirken Naila II und Selbitz. Im Wahlbezirk Naila I war von 1411 abgegebenen Stimmen nur eine ungültig gewesen.

Vermutlich kamen viele der Nein-Stimmen aus kirchlichen Kreisen. In Lichtenberg existierte eine Gruppe, die der Bekennenden Kirche – einer innerkirchlichen Opposition gegen die Nazis – nahe stand. Sie hatte Verbindungen zu dem Pfarrer Theodor Puchta aus Döbra bei Schwarzenbach am Wald, der aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber Hitler kein Geheimnis machte, 1943 zu einer Schutzpolizeitruppe der Wehrmacht eingezogen wurde und am 25. April 1945 an der Front starb. Auch nach Ebersdorf bei Saalburg in Thüringen hielt man von Lichtenberg aus Kontakt; dort traf sich in der Tradition der Herrnhuter Brüdergemeine ein kirchlicher Oppositionskreis.


Zur weiteren Information

Die Gedenkstätte mit Museum Langer Gang in Schwarzenbach an der Saale informiert über den Todesmarsch von Helmbrechts nach Volary in Böhmen und über Todesmärsche allgemein.


Quellen

www.alemannia-judaica.de, hier insbesondere der Eintrag zum Todesmarsch durch das Höllental

Digitalarchiv der Stadt Bürgel

Eugen Kogon: “Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager”, München 1974

Jörg Skriebeleit: “Todesmärsche aus dem KZ-Komplex Flossenbürg”, in: “Das Frauenkonzentrations- und Außenlager Helmbrechts – Der Todesmarsch von Helmbrechts nach Volary CZ/Wallern”, Schwarzenbach, 2019

Mündliche Mitteilungen Lichtenberger Bürger

Klasse 10d der Realschule Naila mit Lehrerin Maria Färber: “Evakuierungsmärsche durch unsere Region im April 1945”, Naila 2002

Rainer Hambrecht: “Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken”, Nürnberg 1976

Wahlergebnisse 1932/33 im Staatsarchiv Bamberg

Willi Mages: “Der Landkreis Naila 1945 – 1949”, Sonderdruck der Reihe "Unsere Heimat", heimatkundliche Beilage der Nailaer Zeitung

Björn Mensing: “Pfarrer und Nationalsozialismus”, Bayreuth 1999

Mündliche Mitteilungen aus dem Umfeld von Theodor Puchta

 

Wollen Sie weitere Hintergründe lesen oder mehr über unser Projekt wissen? Dann klicken Sie hier.

Wappen
 

Gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER).